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die andere perspektive

Serbien auf den Beinen - Studenten, Bauern und Lehrer: „Genug ist genug!“


von Karsten Hellhuber

7. Januar 2025
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Im November ereignete sich eine Tragödie, die Serbien erschütterte: In der neuen Bahnhofshalle von Novi Sad stürzte ein Betondach ein – 15 Menschen verloren ihr Leben. Doch anstatt still zu trauern, stehen die Menschen auf: ein Proteststurm zieht durchs Land, wie ihn Serbien seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat - auch wenn er medial in Deutschland kaum wahrgenommen wird. JUGEND ZEIGT DER REGIERUNG DIE STIRN

Der katastrophale Einsturz hat die Nation erschüttert und weitreichende Bedenken über die Sicherheit und Kontrolle öffentlicher Infrastruktur ausgelöst. Während die Behörden eine Untersuchung der Ursachen eingeleitet haben, wächst der öffentliche Unmut über die vermeintlich langsame Reaktion und das Fehlen von Verantwortungsbewusstsein. Die Tragödie wird zunehmend zum Symbol für die Forderung nach höheren Standards, besserer Instandhaltung und mehr Transparenz im Umgang mit der Infrastruktur. Die ersten Proteste begannen mit Schülern und Studenten, die auf die Straße gingen, um gegen das offenkundige Missmanagement und die Fahrlässigkeit der Behörden zu demonstrieren. Doch die Regierung reagierte mit Einschüchterung: In Novi Sad und Sremski Karlovci wurden Lehrer und Schüler von der Politik unter Druck gesetzt – ohne Erfolg. Die jungen Menschen ließen sich nicht einschüchtern!

Es dauerte nicht lange, bis sich die Bewegung auf das ganze Land ausweitet. Universitäten in Belgrad, Niš und Novi Sad wurden besetzt – über 50 Bildungseinrichtungen solidarisierten sich mit den Forderungen: Gerechtigkeit für die Opfer von Novi Sad und eine Untersuchung aller Verantwortlichen. SOLIDARITÄT WIRD ZUM MOTOR DER BEWEGUNG

Was Serbien derzeit erlebt, ist ein Bild der Hoffnung: Lehrer, Schüler, Bauern und einfache Bürger stehen Schulter an Schulter. Als Studenten Straßen blockierten, brachten Bauern Essen zu den Protestierenden. Schauspieler, Sportler und Sänger zeigten sich solidarisch. Selbst Universitätsprofessoren, die lange geschwiegen hatten, lobten den Mut der Jugend.

Die Unterstützung reicht weit über Serbiens Grenzen hinaus: In Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und sogar Polen solidarisierten sich Menschen mit den serbischen Demonstranten. PRÄSIDENT VUČIĆ IN DER KRITIK

Präsident Aleksandar Vučić versucht, die Wogen zu glätten, doch seine Worte scheinen immer weniger Gehör zu finden. Während er Verständnis für die Jugend vorgibt, wird gleichzeitig von „ausländischer Einflussnahme“ gesprochen.

Doch das Volk hat genug von Ausreden! Jeder öffentliche Auftritt der Regierung wird von Protesten begleitet. Die Ministerin für Bildung musste sogar eine Veranstaltung abbrechen, als Schüler und Studenten sie mit Pfiffen und Slogans aus dem Saal drängten. VON EINER KRISE ZUR BEWEGUNG DER HOFFNUNG

Die Tragödie von Novi Sad hat etwas entfacht, das über Serbien hinaus Strahlkraft besitzt: Der Mut der Menschen zeigt, dass Solidarität stärker ist als jede politische Spaltung. In einer Zeit, in der weltweit Korruption und Machtmissbrauch durch die Gier einiger weniger zunehmen, ist Serbien ein leuchtendes Beispiel dafür, was möglich ist, wenn Bürger zusammenstehen.

Die Bilder aus Belgrad, wo Studenten den Jahreswechsel mit Protesten statt Feuerwerk feierten, sprechen Bände. 15 Minuten Stille für die 15 Opfer – während im Hintergrund Feuerwerkskörper explodierten – wurden zum Symbol einer Nation, die sich nicht mehr abfinden will. DAS LAUTE SCHWEIGEN DER DEUTSCHEN MEDIEN

Während in Serbien im Moment Geschichte geschrieben wird, bekommt die Bevölkerung hierzulande kaum etwas von den Protesten mit. Es scheint, als hätten die deutschen Mainstream-Medien wenig Interesse an der Berichterstattung aus dem Balkan-Land. Nachdem solch ein lautes Schweigen der deutschen Presse zuletzt auch im Kontext der israelischen Kriegsverbrechen in Gaza und in Syrien oder mit Blick auf die Bomben-Kampagne der Türkei in Rojava, Nordsyrien aufgefallen war, werden erneut kritische Stimmen laut. Sie hinterfragen, ob der öffentliche Rundfunk in seiner Qualität immer mehr auf das Niveau der gewinnorientierten Privaten abrutscht. Möglicherweise steht das mediale “Desinteresse” an Protesten gegen Vučić auch im Zusammenhang mit dem Kuschelkurs Deutschlands mit der serbischen Regierung. Im Sommer 2024 hat die EU ein Abkommen mit Serbien geschlossen, um die vorsintflutliche europäische Autoindustrie mit serbischem Lithium für E-Autos zu versorgen. Dabei ist Vučić bereit, sein eigenes Land mit einem neuen Abbau-Projekt im Jadar-Tal mit Schwermetallen zu verseuchen und wird fleißig von Kanzler Scholz und der deutschen Industrie unterstützt.

Zusätzlich ist Deutschland das wichtigste Importland für Serbien, weshalb es nicht überrascht, dass kalte Wirtschaftsinteressen über den Freiheitswillen der serbischen Bevölkerung stehen. EIN VORBILD FÜR DEUTSCHLAND UND EUROPA

Die Ereignisse in Serbien sind also nicht nur ein Aufstand gegen Missstände im eigenen Land. Sie sind ein Spiegel für viele Länder, in denen die Menschen zunehmend die Ungerechtigkeit und das Versagen der eigenen Politiker und die unstillbare Gier der Wirtschaftselite erkennen.

Serbien zeigt, dass es möglich ist, gemeinsam für eine bessere Zukunft einzutreten. Hier steht die gesamte Bevölkerung geeint in ihrem Wunsch nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Würde. Sie tun es zusammen.

Vielleicht ist es gerade dieser unerschütterliche Zusammenhalt, der den Menschen in Serbien und weltweit Hoffnung gibt: Es ist nie zu spät, sich zu wehren – gegen Ungerechtigkeit durch korrupte Eliten, für eine Zukunft, für uns alle.